- Süddeutsche Zeitung -
Long interview to Andrea Illy, president of illycaffè discussing on the coffee price and on sustainable economy.Noch am Morgen hat der Triester Kaffeekaufmann Andrea Illy, 45, in München vor Managern des
Allianz-Konzerns einen Vortrag zum Thema „Was ist ein Produkt?” gehalten. Nun steht er im Schulungssaal der eigenen Università del Caffè in Obersendling an der Espressomaschine und führt vor, warum er in fünf Jahren 120 Millionen Euro ins „perfekte Tässchen” investierte. Weil das Häubchen dichter Crema auf dem Lebenselixier der Italiener zum Statussymbol geworden ist, bringt die Krise Illy nicht aus dem Konzept.
SZ: Herr Illy, wissen Sie, was eine Tasse Espresso in Deutschland kostet?
Andrea Illy: Rund 1,80 Euro. In Italien ist das Tässchen halb so teuer. Aber Sie haben hier ja auch eine Kaffeesteuer von 2,19 Euro pro Kilo.
SZ: Wie viel kommt denn von den 1,80 Euro beim Kaffeebauern an?
Illy: Zwischen 10 und 20 Cent pro Tasse. Aber die Wertschöpfungskette beim Kaffee ist sehr lang. Der größte Anteil bleibt in der Gastronomie hängen.
SZ: Was zahlt ein Premiumhersteller wie Illy dem Bauern für die 50 Kaffeebohnen, die in einer Tasse Espresso stecken ? Illy: Wir zahlen den Höchstpreis von 20 Cent und mehr.
SZ: Warum so großzügig?
Illy: Der Produzent ist für uns entscheidend. Wir sind in der Lage, mit unserer Technologie die Qualität zu heben. Aber wir können aus mittelmäßigen Bohnen keinen Spitzenkaffee machen. Deswegen haben wir uns eine eigene Lieferkette aufgebaut. Wir kaufen nur direkt ein. Und nur in Gegenden, wo wir die beste Qualität bekommen, und bei Erzeugern, die unseren Standard erreichen.
SZ: Illy geht zum einzelnen Bauern?
Illy: Ja, meistens. Nur in sehr armen Ländern kommen die Leute mit ihrem Kaffee zu Sammelstellen. Überall schulen wir die Erzeuger. Je mehr die Bauern lernen, desto besser wird ihr Produkt und desto teurer können sie die Bohnen auf dem Markt verkaufen. Illy zahlt im Schnitt einen Aufpreis von 30 Prozent.
SZ: Was muss der Bauer dafür leisten? Illy: Mit dem Aufpreis deckt er seine Mehrkosten ab, die nicht hoch sind. Er muss die Plantage besser pflegen. Wir verlangen selektives Pflücken ausgereifter Kirschen. Mangelhafte Bohnen müssen aussortiert werden. Die dritte Auslesestufe besorgt Illy in Triest elektronisch. Wir wollen null Mängel.
SZ: Geht es Ihren Bauern besser?
Illy: Ja, denn wir stehen ihnen auch in harten Zeiten zur Seite. 2001 sackte der Kaffeepreis auf einen Tiefstand von 40 US-Cent pro Pfund ab. Das deckte nicht einmal die Anbaukosten. Heute liegt er bei 1,30 Dollar. Illy hielt damals einen Preis, der die Kosten deckte und einen Profit abwarf. Das ist wichtig: Wer Gewinn macht, arbeitet weiter für uns.
SZ: Wie kontrollieren Sie denn, wie nachhaltig die Bauern wirtschaften?
Illy: Wir lassen unsere Lieferkette gerade durch die Gesellschaft DNV (Det Norske Veritas) zertifizieren.
SZ: Warum liegt Ihnen so viel daran?
Illy: Wenn das Unternehmen dauerhaft den Verbraucher mit dem besten Kaffee versorgen will, den die Natur gibt, dann müssen wir sicherstellen, dass unsere Lieferkette Bestand hat. Wir müssen wachsen, ohne von unserer Mission abzukommen. Qualität ist für uns kein Gimmick. Unser erstes Unternehmerziel ist das Überleben. Um unsere Kunden zu halten, müssen wir heute, morgen und in Zukunft Qualität garantieren.
SZ: Auch die amerikanische Kette Starbucks schmückt sich mit einer Zertifizierung. Wo ist da der Unterschied?
Illy: Starbucks hat ein Gütesiegel für Fairen Handel. Diese Zertifizierungen prüfen generell nur, wie viel man bezahlt. Ich halte nichts von reiner Charity. Der Verbraucher greift zum fair gehandelten Kaffee, weil er sich gut fühlen will. Mit Markt hat das nichts zu tun. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage besagt: mehr Geld für höheren Wert.
SZ: Ist das Bemühen um Nachhaltigkeit eine Modeerscheinung?
Illy: Nein, die Sensibilität ist gewachsen. Denn wir leben in einer Gesellschaft, die absolut untragbar ist. In jeder Hinsicht: wirtschaftlich, ökologisch und sozial. Den Ausweg wird eine neue industrielle Revolution weisen. Sie wird uns saubere Energien bringen, und sie könnte einen Wirtschaftsboom auslösen, der sämtliche Bedürfnisse erfüllt.
SZ: Trotz der Krise hat der Kaffeedurst 2009 kaum nachgelassen. Die Nachfrage stieg und mit ihr die Preise. Wer hat daran verdient?
Illy: Niemand, weil die Kosten auch gestiegen sind. Außerdem geht ein Teil der Preiserhöhung auf die Dollarabwertung zurück. Darüber hinaus gab es Lieferengpässe.Infolge von Ernteausfällen hält die Produktion seit drei Jahren nicht mehr mit der Nachfrage Schritt. Extreme Klimaereignisse häufen sich. Der Markt ist nervös.
SZ: Hat die Rezession Illy zugesetzt?
Illy: Wir wachsen, aber nur noch halb so stark wie eigentlich erwartet.
SZ: Kommt Ihr Unternehmen trotzdem heil aus der Krise?
Illy: Ja, auch dank neuer Produkte. Wir hatten zum Glück 2008 gerade ein großes Investitionsprogramm abgeschlossen. Es hat die Komplexität des Unternehmens stark erhöht. Vom Konsumgüterhersteller ist Illy mit Espressomaschinen zum Hersteller von Gebrauchsgütern, mit der Kette espressamente illy zum Vertriebsunternehmen und mit Schulungszentren zu einem Dienstleister geworden. Rentiert sich die Investition nun erst ein Jahr später, kann ich auch damit leben.
SZ: Espressotrinken war mal eine hastige Angelegenheit. Nun profitieren Sie davon, dass der kleine Schwarze zum Emblem eines Lebensstils wurde.
Illy: Espresso wird zu einem Erlebnis-Getränk. Gott sei Dank, denn da ist Illy ein Pionier. Das Streben nach Qualität trieb schon meinen Großvater an. Triest war damals ein kleines New York – kosmopolitisch, frei, offen. Als er die Firma vor 76 Jahren gründete, wollte er den besten Kaffee der Welt auf den fernsten Märkten platzieren. Dafür haben wir uns von Anfang an um Innovationen bemüht, wie die vakuumverschlossenen Dosen. Viele Konkurrenten haben lange Zeit gar nicht verstanden, was wir da machen. Für die war Kaffee nur ein Rohstoff. Das hat sich geändert. Nun tobt der Wettbewerb um den schicksten und besten Kaffee. Es kam Konkurrenz auf, aber der Markt ist auch gewachsen. Mir ist das recht so.
SZ: Ist es nicht mühsam, die Welt zu italienischer Lebensart zu verführen, während Ministerpräsident Silvio Berlusconi das Image des Landes immerzu ramponiert?
Illy: Zum Glück sind die Werte unseres Unternehmens nicht italienisch. Unser Stil ist ganz anders. Wir sind nicht Italiener – wir sind Illyaner. Unsere Familie hat mehr schwäbisches und irländisches Blut in den Adern als italienisches. Unsere Andersartigkeit zu vermitteln, fällt nicht schwer.
SZ: Ändert sich im Ausland die Resonanz auf italienische Marken?
Illy: Nein, inzwischen gibt es drei Italien. Da ist das altmodische Italien der fünfziger Jahre: Sophia Loren, Fiat 500, Chianti. Dann gibt es das zeitgenössische Italien der anspruchsvollen Modefreaks. Es steht für Stil und Lebensart. Dieses Italien wird nicht angegriffen durch das Abscheu erregende dritte Italien des politischen Verfalls. Der Kunde des Made in Italy nimmt die Unterschiede wahr. Er kennt Italien, schätzt das Schöne und schaut über diesen Zirkus hinweg.
SZ: Etwas Sorge muss die Luxusunternehmer aber wohl doch umtreiben, wenn ihre Vereinigung Altagamma die Entwicklung einer Kommunikationsstrategie in Auftrag gab, die das Image aufpolieren soll.
Illy: Irgendwann ist Schluss. Man muss den Politikern mal die Ohren lang ziehen. Noch hat der Absatz von Luxusmarken nicht gelitten. Aber: Unser Land lässt unermessliche Gelegenheiten sausen. Wenn Italien keine Pflege des Landes und keine Verkaufsförderung betreibt, wenn man dem Tourismus nicht hilft, dann verschenkt man seinen Wettbewerbsvorteil. Das ist masochistisch. Noch gibt es keine Absatzausfälle. Aber wenn wir weiter so machen, wird es dazu kommen.
SZ: Warum spürt man dann keinen Druck der Unternehmerklasse?
Illy: Und ob. Unsere Präsidentin Emma Marcegaglia drängt täglich …
SZ: ...aber wenn Berlusconi die Industriechefin vor 3000 Unternehmern als „hübsches Showgirl” demütigt, klatscht der Saal amüsiert.
Illy: Das ist der Zirkus, von dem ich vorhin gesprochen habe. Das ist uritalienischer Kameradschaftsgeist. Den trifft man hier in jedem Klub an. Da wird gescherzt und gelacht. Auch wenn es nichts zu lachen gibt.
Interview: Ulrike Sauer
Mittelstand & Familienunternehmen
Gut, eine große Bankenkrise ist Italien zwar erspart geblieben. Dennoch kommt das Land nicht ungeschoren durch die Wirtschaftskrise. Der Mittelstand leidet heftig und wartet vergeblich auf staatliche Unterstützung nach deutschem Vorbild. Stattdessen ruft die Regierung zur kollektiven Verdrängung und zu Optimismus auf. Die Unternehmer können das Gerede von Vertrauen und Erholung längst nicht mehr hören. Damit nicht genug: Markenartikler wie der Triester Kaffeehändler Andrea Illy fürchten, dass Ministerpräsident Silvio Berlusconi dem Ansehen des Landes schadet.
„Unsere Familie hat mehr schwäbisches und irländisches Blut in den Adern.”
„Der Kunde schätzt das Schöne und schaut über den Zirkus hinweg.”
Andrea Illy, 45, Enkel des Firmengründers Francesco Illy, treibt mit seinen drei Geschwistern seit 1990 die Eroberung des Weltmarkts voran. 2008 wuchs der Umsatz des Premiumherstellers um 3,6 Prozent auf 280 Millionen Euro. Illy machte acht Millionen Euro Nettogewinn. Die Zahl der Mitarbeiter stieg auf 783. Für dieses Jahr rechnet Andrea Illy mit einer leichten Steigerung der Ergebnisse. Weltweit rangiert Illy unter den Kaffeeproduzenten an 14. Stelle.